Über Social Media Trolle und ihr politisches Potenzial

Nicht erst seit der „Staatsaffäre Böhmermann“ ist bekannt, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sehr bemüht ist seinen Ruf zu wahren, und hierbei auch gerne medienwirksam zu Werke zu gehen. Während in diesem Fall der offizielle Weg über deutsche Gerichte gewählt wurde, ist der türkische Präsident jedoch auch gerne gewillt bei der Wahrung seines Ansehens und der Durchsetzung seines Willens über die Grenzen des Erlaubten zu treten – Staatsmänner, die wider Erdogans Ansichten handeln werden verfolgt oder verjagt, Regime-kritische Journalisten mundtot gemacht oder eingesperrt. Und trotz all dieser demokratiefeindlichen Akte gewinnt Erdogan immer mehr an Zuspruch der Wähler.

800px-Gezi_Park_protestsGezi Park protests; Urheber: Alan Hilditch

Absurde Folgen der Gezi-Proteste

Dies war jedoch nicht immer der Fall. Denn vor allem im Rahmen der Gezi-Proteste 2013 wurden vermehrt Stimmen laut, die sich auch gegen die steigende Macht des damaligen Ministerpräsidenten Erdogans aussprachen. Mittels sozialer Medien mobilisierten sich mehrere Millionen, meist junger liberaler Türken, um gemeinsam auf die Straße zu gehen, frei ihre Meinung zu äußern und den totalitären und islamistischen Trend des Regimes zu beanstanden. Beinahe ironisch mutet es da an, dass ebenjene Proteste dazu führten, dass die Regierung ihren Autoritarismus weiter steigern konnte. Wie von Wikileaks veröffentlichte Mails nämlich belegen, sah die türkische Regierung den Grund für die Größe der Proteste in eben den sozialen Medien. Auch wenn die AKP große Teile der Massenmedien kontrollierte, hätten sie gegen die „Desinformationen“ und „Provokationen“ der Protestierenden nur wenig entgegenzusetzen gehabt – vor allem den sozialen Medien wurde hierbei eine gewisse „Dominanz“ zugeschrieben. Um diese Dominanz zu brechen müsse man nun eine „virtuelle Werkstatt“ einsetzen, welche „Direkt in die virtuelle Welt der Individuen eindringen [müsse], um zu ihrer Stimme, ihrem Übersetzer und Analysten“ zu werden – sprich: die Regierung müsse eine Instanz schaffen, welche soziale Medien nutzt, um die Meinung der Bürger zu bilden. U.a. professionelle Social-Media-Experten, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler, Techniker und Grafiker und sogar ehemalige Armeeoffiziere aus dem Gebiet der psychologischen Kriegsführung seien den geleakten Dokumenten nach als staatliche Social-Media Trolle eingesetzt worden, mit der Aufgabe Twitter, Facebook, Bloggs und Co zu nutzen, um mit erfundenen Berichten und Falschmeldungen Stimmung gegen westliche Politiker zu machen, Kritiker zu denunzieren und Erdogan stärken, indem sie Online-Diskussionen lenken und Debatten verzerren. Der Erfolg lässt sich dadurch erklären, dass Menschen ihr Umfeld und die Stimmung darin beobachten und ihre Meinung daran angleichen, um nicht sozial isoliert zu werden, wie es die Theorie der Schweigespirale erläutert.

Vladimir_Putin_met_with_Recep_Tayyip_Erdogan_2016-10-10_08Vladimir Putin met with Recep Tayyip Erdogan 2016-10-10; Quelle: Kremlin.ru

Russland als Vorreiter

Inspiration hierfür holte Erdogan sich vermutlich auch aus Russland. Dort nutzte Wladimir Putin nämlich schon das politische Potenzial sozialer Medien in seiner sogenannten „Internet Research Agency“ für sich und seine Ziele. Wie Lyudmila Savchuk, eine ehemalige Angestellte der staatlichen Trollfabrik in einem Interview mit dem „Spiegel“ verriet, würden in Russland zumeist junge Studenten bezahlt werden, um in Zwölstundenschichten über soziale Kanäle die schlimmen Zustände, in der Europäischen Union anzuprangern, russische Staatsmänner anzupreisen oder Oppositionelle, wie beispielsweise den 2014 ermordeten Regimekritiker Boris Nemzow zu schmähen. Wie in der Türkei auch, handelt es sich bei den verbreiteten Meldungen jedoch so gut wie immer um Falschmeldungen. Wenn man bedenkt, dass sie mit einer Bezahlung von knapp 700€ sogar über dem Monatseinkommen des Durchschnittsrussen liegt, erklärt sich auch wieso die Arbeit als Social-Media-Troll so begehrt ist, und das obwohl die postulierten Nachrichten häufig gar nicht mit den Ansichten der Verbreiter übereinstimmen. Auf die Frage, ob sie denn denke, dass diese Trolle überhaupt Einfluss nähmen, sagte Savchuk: „Absolut. Die Aggressivität und der Hass schwappen in die reale Welt über.“

800px-Vladimir_Putin_&_Donald_Trump_at_APEC_Summit_in_Da_Nang,_Vietnam,_11_November_2017Vladimir Putin & Donald Trump at APEC Summit in Da Nang, Vietnam, 11 November 2017; Quelle: kremlin.ru

Europa als neues Ziel

Und zwar auch in die westliche Welt. Traurigerweise ist es nunmehr schon Alltag in Russland, dass Medien lügen, doch auch über die staatlichen Grenzen hinweg sind russische Trolle im Einsatz, um die Interessen des Kremls zu vertreten. Dies zeigt auch der Fall Lisa. 2016 soll das damals 13-jährige deutsch-russische Mädchen von Flüchtlingen in Berlin entführt und über Stunden hinweg missbraucht worden sein. Der russische Sender „Erster Kanal“ veröffentlichte als einer der ersten einen Beitrag der diese Details enthielt. Ebenjener Beitrag verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Deutschland. Katalysator hierbei wieder: die Sozialen Medien und die lenkenden russischen Social-Media-Trolle. In Folge dessen kam es unter anderem zu Demonstrationen, bei denen ein Ende von Merkels Kanzlerschaft gefordert wurde. Wie sich später herausstellte entsprachen die Meldungen ebenfalls nicht der Wahrheit. Zwar gab es die 13-jährige Lisa, und sie verschwand auch zwischenzeitlich, jedoch kam es nie zu einer Entführung, geschweige denn einer Vergewaltigung durch Flüchtlinge. Das Ziel der Medienkampagne und der Arbeit der russischen Trolle war klar: Hass auf, und Angst vor Asylsuchenden in Deutschland schüren, die politische Stimmung beeinflussen und so die Gesellschaft spalten. Wie vermehrt berichtet wurde, sei Putins Manipulationsmaschinerie mittlerweile sogar aktiv an Wahlprozessen beteiligt.  Unter anderem in Europa gewinnt Putin immer mehr Rechtspopulisten, wie den Front-National, die UKIP, oder auch die AfD als Verbündete und unterstütze diese finanziell und mit seinen Social-Media-Trollen. Das Brexit- und das Katalonien-Referendum, ein Verfassungsreferendum in Italien, welches u.a. über eine Neuordnung des Parlaments entscheiden sollte, oder auch die Bundestagswahl in Deutschland seien bereits Opfer russischer Manipulation gewesen. Der bekannteste Fall allerdings dürfte wohl der US-Wahlkampf 2016 sein, der Meldungen zufolge durch russische Trolle und Bots zu Donald Trumps Gunsten manipuliert wurde. Aktuelle von Twitter kommunizierte Zahlen zeigen, dass gut 3800 Konten in Verbindung mit Russland gebracht werden konnten, und von denen während des Wahlkampfes knapp 15.000 Tweets mit Bezug zu ebendiesem verbreitet wurden.

Robert_Swan_Mueller_at_a_memorial_event_for_G_Falcone_cut

Social-Media-Trolle als reelle Gefahr

Als Folge der Untersuchung einer möglichen Verbindung von Trumps Wahlkampfteam zu russischen Stellen durch den 2017 eingesetzten Sonderermittler Robert Muller, erhob die US-Justiz nun Anklage wegen gegen russische Staatsbürger und Organisationen wegen der Einmischung in den US-Wahlkampf. Unter anderem der Konspiration, des Betrugs und schweren Identitätsdiebstahls beschuldigt sind ein enger Vertrauter Putins, Yevgeniy Viktorovich Prigozhin, seine Firmen Concord Management and Consulting LLC und Concord Catering, mittels derer er die russischen Trolle mitfinanziert haben soll und Putins staatliche Troll-Fabrik, die Internet Research Agency, selbst. Inwieweit diese Klage Erfolg haben wird, und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, bleibt abzuwarten, sie zeigt aber definitiv, dass manche Social-Media-Trolle mehr sind, als nur provokative, aber meist harmlose, User in Chatforen oder den Sozialen Medien, einige vertreten nämlich aktiv die politischen Interessen autoritärer Führer. Und wenn ein solcher nun in der Lage ist, mit einfachsten Mitteln, wie dem Führen von Blogs, oder dem Kommentieren von Posts das nationale und internationale Meinungsklima zu seinem Vorteil zu manipulieren, die Regierungsfindung von Staaten zu beeinflussen, Gesellschaften zu spalten und zu destabilisieren, zeigt das doch deutlich, welchen großen Einfluss Online-Trolle auf unser Leben nehmen können.

 

Georg Höfer

Student der Kommunikationswissenschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg